„Verkehrssicherheit ist ein kontinuierlicher Prozess, der ein ständiges Engagement erfordert.“
Sofia Salek de Braun, Road Safety Ambassador

Die Pressestelle des Statistischen Bundesamtes Destatis gab zu Jahresbeginn eine alarmierende Meldung für das Bundesgebiet heraus: So waren im Vergleich zum pandemisch unbeeinflussten November 2019 die Zahlen der im Straßenverkehr Verletzten im November 2022 zwar um fünf Prozent gesunken, die der Verkehrstoten jedoch absolut um sieben gestiegen. Kurz: Die Unfallhäufigkeit und ihre Folgen ähneln wieder der Situation vor dem Coronaausbruch. Auch in Deutschlands Großstädten macht sich der negative Trend bemerkbar. Verglichen mit Berlin oder Hamburg hatte München im Jahr 2021 zwar weniger aber immer noch 38.015 Verkehrsunfälle zu verzeichnen. Aber die Stadtverwaltung hat reagiert: In einem bisher einzigartigen Projekt perfektioniert sie die Unfallanalyse und stellt sich aktiv dem Thema Verkehrssicherheit.

Vorbild durch softwaregestützte Unfallanalyse

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Keine Toten oder Schwerverletzten im Straßenverkehr, so lautet die Vision Zero, die sich der Stadtrat von München im April 2018 zum strategischen Ziel ihrer Verkehrssicherheitsarbeit gesetzt hat – wie eine Vielzahl anderer Städte auch. Auf dem Weg zu dieser Vision stehen die Verantwortlichen jedoch oft vor unübersichtlichen Datenbergen. Christian Rossol, Senior Technical Product Manager Road Safety, berichtet vom besonderen Lösungsweg, den Bayerns Landeshauptstadt eingeschlagen hat: „In München wurde eigens eine Stabstelle für die Verkehrssicherheitsarbeit geschaffen. Diese setzt mit PTV Euska flächendeckend eine Mobilitätssoftware zur professionellen Unfallanalyse ein.“ So erhalten die Verantwortlichen eine einwandfreie empirische Basis für diverse Präventionsmaßnahmen. Gleichzeitig kommt die Software als unterstützendes Werkzeug bei der Neuplanung und dem Umbau von Knotenpunkten und Straßenabschnitten zum Einsatz. „Bei der Verkehrssicherheitsarbeit nimmt die Stadt damit eine Vorreiterstellung ein“, erklärt Rossol weiter. „Durch die Analyse können Verkehrsplanende bereits frühzeitig bestehende Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit identifizieren und für die Planung berücksichtigen. Außerdem wird schon im Vorfeld der Austausch von Daten zwischen Polizei und Stabstelle erleichtert. Die Wege sind kürzer geworden, die Hemmschwelle, in die Daten reinzuschauen, kleiner.“

Unfallanalyse und Trends

Aktuell haben etwa 100 Nutzer*innen Zugriff auf mehr als 228.000 polizeilich registrierte Unfälle – ohne Kleinunfälle – ab dem Jahr 2010. Für die konkrete Unfallanalyse identifizieren die Verkehrsexperten zunächst Unfallhäufungsstellen. Durch das Anlegen individueller Filter lassen sich auch spezifische Fragestellungen, beispielsweise zum Unfallgeschehen bei verschiedenen Verkehrsmitteln, untersuchen. Weil sich Unfälle auch gesamtstädtisch über einen längeren Zeitraum betrachten lassen, kann man Trends und Auffälligkeiten frühzeitig erkennen. So z. B. die Zunahme von Alleinunfällen im Radverkehr während der COVID-19-Pandemie. Aber auch ortsgenaue Analysen sind möglich, wie die Zunahme von E-Tretroller-Unfällen in bestimmten, per Software abgegrenzten Gebieten. Jeder Anwendende hat Zugriff auf die als Filter-Möglichkeit hinterlegten administrativen Grenzen der Stadt sowie auf individuell angelegte Filter: Letztlich kann die Unfallkommission die Ergebnisse frühzeitig in Planungsprozesse einbeziehen, mit Maßnahmen verknüpfen und die Auswirkungen erfassen.

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Die Dunkelziffer allgemeiner Unfallanalyse

Der deutschlandweite Unfallatlas visualisiert alle von der Polizei aufgenommenen Unfälle, bei denen auf öffentlichen Straßen und Plätzen Personen- oder Sachschäden entstanden sind. Jedoch vermutet man eine hohe Dunkelziffer an nicht erfassten Unfällen in der Statistik. So vermitteln die Webseite Gefahrenstellen.de als auch die Münchener Meldeplattform für den Radverkehr einen eher subjektiven Eindruck des Geschehens. Weil die Verkehrsexperten der Landeshauptstadt ein möglichst exaktes, objektives Bild ermitteln möchten, berücksichtigen sie bei der Analyse auch Zusammenhänge. So ist z. B. die gestiegene Zahl an Fahrradunfällen auch mit der Zunahme des Radverkehrs verbunden. Am Ende entscheidet oft das subjektive Sicherheitsempfinden bei der Verkehrsmittelwahl. Sofia Salek de Braun, Road Safety Ambassador, sieht hier einen wichtigen Zusammenhang: „Nur, wer sich sicher fühlt, geht zu Fuß oder fährt mit dem Rad.“ Nicht nur in München ist es daher eine besondere Herausforderung, die beiden Welten mit sinnvollen Verkehrsstrategien zusammenzubringen.

Zielkonflikte lösen und proaktiv arbeiten

Bei der Umsetzung von Teilstrategien zur Verkehrssicherheit können Synergieeffekte aber auch Zielkonflikte entstehen. Baut man die Radwege aus oder gestaltet man eher den ÖPNV komfortabel? Welcher Verkehrsteilnehmende soll profitieren, wenn einer breiten Straße eine Fahrspur genommen wird? Bei welchen Knotenpunkten ist die Ausstattung mit einer Kamera sinnvoll? „Bei diesen Überlegungen ist der Einsatz eines Tools zur Unfallanalyse wirklich hilfreich“, weiß Rossol, „weil es objektive empirische Entscheidungsaspekte liefert.“

Die reine Unfallanalyse stellt natürlich eine reaktive Maßnahme der Verkehrssicherheitsarbeit dar. Salek de Braun ergänzt: „Wir wollen die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten perspektivisch auf null absenken. Und dafür müssen wir ganz klar proaktive Maßnahmen integrieren, wie z. B. sichere Fußgängerüberwege, eine übersichtliche Verkehrsführung oder die Früherkennung von Gefahrenstellen. Wir müssen Unfällen einen Schritt voraus sein.“

Der Blick in die Zukunft

Einen großen Mehrwert bietet die Eigenschaft von Euska als Datenbank: Weil sie sich als gute und dabei neutrale Entscheidungsgrundlage nutzen lässt und damit die Priorisierung bestimmter Maßnahmen nachvollziehbar macht. Die Verkehrsplanenden können belegen, wo sich Ressourcen am sinnvollsten und mit der besten Aussicht auf Erfolg einsetzen lassen.

Sicher hat sich die Fahrradinfrastruktur in den letzten zehn Jahren extrem verbessert – nicht nur in München. Aber es existieren noch viele Ansatzpunkte in Sachen Verkehrssicherheit: Wir brauchen mehr Flächengerechtigkeit. Wir brauchen lebenswerte Städte für die nächsten Generationen, die mehr Schutz vor Gefahren bieten und weniger Lärm. Eine professionelle Unfallanalyse ermöglicht dabei eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheitsarbeit. Aktuell agiert die Stadt München als Vorbild für andere Städte.

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