Zürich wächst! Um bis zu 100.000 Einwohner und 40.000 neue Arbeitsplätze bis in das Jahr 2040, so die Prognose. Die neuen Stadtbewohner und Pendler sorgen für zusätzlichen Verkehr. Das fordert die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ), die mit einer weitsichtigen Netzentwicklung ihre Kapazitäten dem prognostizierten Wachstum anpassen müssen. Wichtiges Instrument dabei: Verkehrsmodellierungen, die aufzeigen, welche Massnahmen welche Wirkung haben werden.
Wachstum des MIVs nicht erwünscht
Der zu erwartende zusätzliche Verkehr soll ausschließlich mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV), dem Fuss- und dem Fahrradverkehr abgewickelt werden. Ein Wachstum des motorisierten Individualverkehrs (MIV) ist in der dicht bebauten Stadt weder möglich, geschweige denn erwünscht – und von der Bevölkerung auch schlicht nicht akzeptiert. Also gilt es, jene Verkehrsmittel zu fördern, die bei geringem Flächenbedarf möglichst viele Menschen von A nach B bringen können.
Hier hat der ÖV gegenüber dem Autoverkehr deutliche Vorteile. Er kann seine Vorteile am besten ausspielen, wenn er an Kreuzungen konsequent bevorzugt wird und auf eigenen Trassen verkehrt. Wenn bspw. eine Tram die Verkehrsfläche mit Autos teilt, dann droht sie wie diese in der Kolonne stecken zu bleiben. Das verlängert die Fahrzeit und mindert die Zuverlässigkeit. Und damit verschlechtert sich auch die Servicequalität gegenüber den Fahrgästen. Dies würde schließlich in einer geringeren Nutzung und damit in der Nichterreichung der übergeordneten verkehrspolitischen Zielsetzung resultieren. Der ÖV spielt in Zürich eine sehr zentrale Rolle. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, braucht es Antworten auf die sich anbahnenden Herausforderungen.
Das fordert auch uns als VBZ-Daten- und Mobilitätsanalysten, da wir mit verkehrs- und datentechnischem Know-how und diversen Modellierungen den Verkehrs- und Angebotsplanern wichtige Hinweise über künftige Mobilitätsbedürfnisse und die Wirkung von Ausbaumaßnahmen liefern. Dabei nutzen wir ein mit PTV Visum erstelltes makroskopisches Verkehrsmodell vom Amt für Mobilität des Kantons in Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich.
Makroskopisches Verkehrsmodell gefragt
Wo wird der ÖV heute schon stark genutzt, wo eher nicht? Auf welchen Relationen werden welche Verkehrszuwächse allgemein erwartet? Wo sollte der ÖV eine stärkere Rolle wahrnehmen und wo sind mit dem bestehenden Angebot Kapazitätsengpässe zu erwarten?
Dies sind Fragen, welche ganz am Anfang stehen. Sie lassen sich bereits mit einer umfassenden Analyse aus dem Verkehrsmodell und existierender Prognosezustände beantworten. Dank hervorragender statistischer Grundlagen aus dem Modell und weiterer Quellen konnte ein breit gefächertes Expertenteam verschiedener Disziplinen und externer Ingenieurbüros erste Lösungskonzepte für den ÖV skizzieren.
Die komplette Palette der Verkehrsnachfrageberechnung
Das Expertenteam konnte die ersten Lösungsansätze stetig vertiefen und daraus konkrete Netzvarianten entwickeln, welche wir mit dem Verkehrsmodell auf ihre Wirkung hin untersucht haben. Zum Einsatz kam das 4-Stufen-EVA-Modell, also die komplette Palette der Verkehrsnachfrageberechnung aus Verkehrserzeugung, -aufteilung und -verteilung. Zu den Fragen, die für die VBZ von besonderer Relevanz waren und Eingang in die Netzentwicklungsstrategie 2040 fanden, gehörten unter anderem:
- Gibt es genügend Fahrgäste für angedachte Linien, oder wird an der künftigen Nachfrage vorbeigeplant?
- Konkurrieren sich Linien gegenseitig, oder tritt die gewünschte Entlastung ein?
- Lassen sich für das prognostizierte Nachfragewachstum auch ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stellen?
- Wie verhält es sich mit der Wirtschaftlichkeit des künftigen Angebotes?
- Können die VBZ einen Beitrag zu den verkehrlichen Entwicklungszielen der Stadt leisten wie eine Reduktion des MIVs?
Bewertung der Wirtschaftlichkeit
Für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit haben wir zum Beispiel die entsprechenden betrieblichen Kennzahlen (Kilometer, Stunden) aus den jeweiligen Netzen in Visum den errechneten Passagierzahlen (Einsteigende, Personenkilometer) gegenübergestellt.
Die Auswertungsmöglichkeiten aus dem Verkehrsmodell sind sehr umfangreich und kaum im Ganzen greifbar. Deshalb entwickelten wir für die jeweiligen Kenngrößen aus Visum jeweils eigene Dashboards, welche die Ergebnisse für ein Publikum außerhalb der Verkehrsmodellierungs-Bubble visuell besser greifbar machten.
Die Ableitung eines Zielnetzes
Die jeweiligen gewonnenen Erkenntnisse sind iterativ in die Anpassungen der Netzvarianten eingeflossen. Das Expertenteam hat sie weiteren Fragen – bspw. aus der Städteplanung – gegenübergestellt und konnte so mehr und mehr ein Zielnetz ableiten.
Weiter galt es, für dieses Zielnetz eine Etappierung zu ermöglichen: Welche Ziele lassen sich in konkreten und funktionierenden Teilnetzen Stück für Stück in der jeweiligen Priorisierung überhaupt umsetzen?
Was waren und sind die Herausforderungen?
So unbegrenzt wie die Kreativität der Planenden ist auch die Anzahl an möglichen Liniennetzvarianten. Obwohl der Szenariomanager von Visum eine gute Möglichkeit bietet, den Überblick über verschiedene Netzvarianten zu behalten, gilt es, sich auf die wesentlichen Änderungen zu fokussieren. Denn nicht jede Netzvariante lässt sich von Anfang an bis ins letzte Detail untersuchen. Allein, weil die Zeit dafür nicht ausreichend ist. Es gilt stets das große Ganze zu verfolgen und sich nicht zu sehr in Details zu verlieren. Ein paar Details muss man aber dennoch im Blick behalten.
Granularität der Eingangsgrößen herausfordernd
Als eine große Herausforderung in diesem Ablauf stellt sich die nötige Granularität der Eingangsgrößen für die eigentliche Verkehrsmodellierung heraus. So gilt es, bereits in einem frühen Planungsstadium zu berücksichtigen, dass es einen wesentlichen Unterschied macht, wie eine Tunnelstrecke geplant wird. Soll die Strecke möglichst gerade und tief durch den Berg führen mit kurzen Fahrzeiten aber einer entsprechend langen Zugangszeit zu tiefen Tunnelhaltestellen? Oder eignet sich eine oberflächennahe Trassierung mit Kurven und längerer Fahrzeit besser, die dafür jedoch kürzere Zugangszeiten zu den Haltestellen bietet?
Um hier mit gesicherten Eingangsdaten in die Modellierung zu gehen und ungefähre Trassenlagen und Möglichkeiten abschätzen zu können, ohne die Grenzen der Physik zu sprengen, wurde eine Testplanung notwendig.
Das kantonale Verkehrsmodell ist auf eine fahrplanfeine Umlegung kalibriert, weshalb wir auch bei den jeweiligen Varianten auf eine entsprechende fahrplanfeine Umlegung setzten. Dadurch werden aber auch entsprechende Fahrplanentwürfe für künftige Linien benötigt. Diese haben – je nach Ausgestaltung – eine Auswirkung auf die Attraktivität des ÖVs und die dementsprechend errechnete Nachfrage. Welche Haltstellen? Welcher Takt? Welche Fahrzeiten? Die Herausforderung war, entsprechende Abwägungen zwischen benötigtem Zeitaufwand und notwendiger Detailtiefe trotz abstrakter „Flughöhe“ im Gesamtprojekt in Einklang zu bringen.
Die Zukunft im Verkehr vorhersehen
Können die VBZ also die Zukunft im Verkehr vorhersehen? Ja, wenn man weiß, wie, geht das sogar ganz gut. Aber auch nur, wenn man die richtigen Werkzeuge dafür besitzt.
So können die Erkenntnisse aus der Verkehrsmodellierung wesentliche Grundlagen für weitere Planungsschritte liefern. Sie machen aus der Netzentwicklungsstrategie 2040 einen Masterplan. Dessen Etappen sind notwendig, damit der ÖV in Zürich seine Herausforderungen langfristig meistern und das von der Bevölkerung geschätzte Qualitätsniveau halten kann.
Projektwebsite: Ring frei für Zürichs Mobilitätszukunft – Stadt Zürich
Die Autoren
Christoph Baur
Mobility Analyst bei Verkehrsbetriebe Zürich
Franz Bleck
Mobility Analyst bei Verkehrsbetriebe Zürich