Ein starker Radverkehr gehört zu den wichtigsten Säulen der Verkehrswende. Doch was braucht es, damit mehr Menschen aufs Rad steigen? Wie können Städte fahrradfreundlicher gestaltet werden? Ein Forschungsprojekt der Technischen Hochschule Nürnberg hat mit Hilfe von Virtual Reality (VR) untersucht, wie der urbane Raum gestaltet werden muss, damit Radfahren subjektiv sicherer und attraktiver wird. Wir haben darüber mit Daniela Ullmann von der Hochschule Nürnberg gesprochen.

Frau Ullmann, für das Forschungsprojekt haben Sie einen Straßenzug der Stadt Fürth nachmodelliert. Rund 100 Proband*innen haben diesen unter verschiedenen Bedingungen per Fahrradsimulator in der virtuellen Realität abgefahren. Mit welchem Ziel?

Im Fokus stand für uns das subjektive Sicherheitsempfinden von Radfahrer*innen. Die Verkehrsplanung konzentriert sich häufig auf objektive Sicherheitsfaktoren, d.h. die Technik geht vor. Wir wollten den Menschen, seine individuellen Bedürfnisse und Wahrnehmungen in den Mittelpunkt rücken. Schließlich sind es ja auch die Radfahrer*innen selbst, die die Verkehrsinfrastruktur akzeptieren müssen. Nur wenn wir vom Menschen aus planen, können wir die Verkehrswende bewältigen.

Wie wurde das Straßenmodell aufgebaut?
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Zunächst einmal haben wir Verkehrsdaten gesammelt, weil es uns wichtig war, einen realistischen digitalen Zwilling des Streckenabschnitts zu erstellen. Die Stadt Fürth hat uns entsprechende Daten und Lagepläne zur Verfügung gestellt und uns bei den Verkehrserhebungen unterstützt.

Wir haben zwei Modelle aufgebaut: In einem 3D-Modell haben wir alles Statische modelliert, also Gebäude und alle Objekte im Straßenraum wie zum Beispiel Bäume oder Bänke. Zudem haben wir eine Verkehrssimulation in PTV Vissim erstellt.

Indem wir die beiden Modelle übereinandergelegt haben, entstand die VR-Umgebung. PTV Vissim generiert die Fahrzeuge und Verkehrsteilnehmer*innen und spielt sie in das 3D-Modell ein. In diesem digitalen Umfeld konnten die Proband*innen dann mit dem Fahrradsimulator fahren und und mit nahezu allen Sinnen in das virtuelle Verkehrsgeschehen eintauchen“

Was ist auf der Straße dann passiert? Welche Szenarien haben Sie in der Simulation durchgespielt?

Um Einflussfaktoren im Radverkehr zu untersuchen, haben wir verschiedene Führungsformen sowie verkehrliche und städtebauliche Parameter betrachtet.

Es gab drei Führungsformen: Einmal wurde der Radfahrer oder die Radfahrerin ohne spezielle Radinfrastruktur auf der Fahrbahn geführt, d.h. im Mischverkehr mit dem Autoverkehr. Das zweite Szenario war ein markierter Radfahrstreifen auf der Fahrbahn. Und die dritte Führungsform ein baulich getrennter Radweg.

Bei den verkehrlichen Parametern haben wir uns beispielsweise angeschaut, was eine veränderte Kfz-Verkehrsstärke bewirkt. Wir haben also den Verkehr in der Vissim-Simulation reduziert – was bei einer realen Erhebung auf der Straße ja nicht einfach so möglich wäre. Ein Vorteil der Simulation. Weitere Parameter waren Tempo 30 statt 50 sowie Parken am Fahrbahnrand.

Und die städtebaulichen Veränderungen?

Wir haben verschiedene Elemente eingeführt. Zum Beispiel einen Grünstreifen mit Bäumen. Außerdem Schankflächen, also belebte Zonen mit Restaurants, Aufenthaltsflächen und vermehrtem Fußverkehr. Das dritte Szenario war eine veränderte Bodenmarkierung: ein Rot eingefärbter Radfahrstreifen. Es gab also in der Kombination insgesamt 20 verschiedene Szenarien. Jede(r) Proband*in ist durch drei verschiedene Szenen gefahren.

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Was waren Ihre wichtigsten Ergebnisse?

Hinsichtlich der Führungsformen wurden unsere Erwartungen bestätigt bzw. decken sich unsere Ergebnisse mit dem aktuellen Forschungsstand: Die Proband*innen fühlten sich auf dem baulich vom Kfz-Verkehr abgetrennten Radweg am sichersten. Der Radfahrstreifen rangierte auf Platz 2 und am subjektiv schlechtesten wurde die Führung auf der Fahrbahn im Mischverkehr eingestuft.

Hier sieht man schön, wie sich subjektive und objektive Sicherheit unterscheiden können. Denn zumindest auf Höhe von Knotenpunkten werden Radfahrer*innen von Autofahrer*innen auf der Fahrbahn besser gesehen, weshalb das Fahren im Mischverkehr – zumindest objektiv gesehen – sicherer ist als am baulich getrennten Radweg.

Die höchste Wirksamkeit hatte die Szenerie mit dem Grünstreifen. Die Vegetation hat signifikant die Attraktivität der Strecke und die subjektive Sicherheit erhöht. Was dabei auch sehr interessant war: Wir haben die Proband*innen danach gefragt, wie lang sie auf dem Streckenabschnitt gefahren sind. Überall dort wo Grünstreifen waren – egal bei welcher Führungsform – wurde die Fahrzeit kürzer eingeschätzt als ohne Grün. Das spricht dafür, dass eine attraktive Gestaltung des Straßenraums Menschen dazu motiviert, Fahrrad zu fahren.

Die Schankflächen haben die Attraktivität wahrscheinlich ebenfalls erhöht?

Ja, aber das Sicherheitsempfinden ist eher etwas zurückgegangen, weil mehr Fußgänger unterwegs waren.

Interessant war auch, dass Tempo 30 nur eine subjektive Sicherheiterhöhung im Mischverkehr zur Folge hatte. Die Radfahrer*innen auf dem Radfahrstreifen und abgetrennten Radweg haben die Geschwindigkeitsveränderungen nicht so sehr wahrgenommen. Dagegen fühlten sich Proband*innen ohne Radinfrastruktur bei Tempo 30 deutlich sicherer. Das heißt: Müssen aufgrund von räumlichen Verhältnissen Radfahrer*innen auf der Straße geführt werden, kann eine Geschwindigkeitsbeschränkung eine gute Möglichkeit sein, die Strecke subjektiv sicherer zu machen.

Eine weitere schlanke und einfache Maßnahme, um den Radverkehr zu fördern, ist das Einfärben des Radfahrstreifens. Das ist vergleichsweise kostengünstig und ohne bauliche Maßnahmen verbunden. Im Rahmen unserer Benutzerstudie erhöhte nämlich die Roteinfärbung das subjektive Sicherheitsempfinden signifikant.

Wie geht es jetzt mit Ihrer Studie weiter?

Unsere Ergebnisse wurden erst kürzlich im Journal of Urban Mobility veröffentlicht. Außerdem haben wir den Bericht natürlich auch an die Stadt Fürth übergeben. Uns war es wichtig, Wissen zu generieren und einen Anstoß zugeben, an dem Thema weiterzuforschen.

Auch wir arbeiten daran weiter. Ein Ziel ist es beispielsweise, den Fahrradsimulator noch realistischer zu machen. Es ist wichtig, dass die städtebaulichen Aspekte weiterbeleuchtet werden.  Es wird viel von Sicherheit gesprochen im Sinne von Vermeidung von Unfällen – was natürlich sehr wichtig ist. Genauso wichtig ist es aber, zu überlegen, was fehlt, damit mehr Menschen mit dem Fahrrad fahren. Was macht Lust, dieses Verkehrsmittel zu nutzen? Die Gestaltung der Straße und der städtebaulichen Umgebung kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Das noch weiter zu erforschen, ist ein wichtiges Thema.

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