Über 90% der Verkehrstoten weltweit entfallen auf Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, obwohl sie nur etwa die Hälfte der weltweit genutzten Kraftfahrzeuge besitzen. In Bolivien sterben jedes Jahr 23,2 Menschen pro 100.000 Einwohner im Straßenverkehr (WHO, 2015). Seit 2016 setzt sich unsere Botschafterin für Verkehrssicherheit, Sofia Salek de Braun, dafür ein, Leben zu retten – und das mit großem Erfolg: Das Thema Verkehrssicherheit hat es nun in Bolivien auf die politische Agenda geschafft. 

Um die Verkehrssituation in Bolivien besser nachvollziehen zu können, ist es wichtig, den Hintergrund zu kennen. Mehr als die Hälfte des Straßennetzes besteht aus nicht asphaltierten Straßen, und vielerorts gibt es keine Verkehrszeichen oder Verkehrsleitsysteme“, erläutert Sofia Salek de Braun. „Die Gehwege sind in schlechtem Zustand und es gibt keine Infrastruktur für Radfahrer, wie z. B. Radwege oder Radspuren. Zudem gibt es keine Bushaltestellen oder eindeutig ausgewiesene Parkplätze.“ 

Verkehrssicherheitsgesetze und deren Durchsetzung sind wesentliche Stellschrauben, die dazu beitragen, das Verhalten der Verkehrsteilnehmer zu verbessern und Verkehrsunfälle zu minimieren – in Bolivien gibt es diese Mechanismen leider nicht. Bisher wurde der Straßenverkehr durch die Straßenverkehrsordnung von 1973 geregelt, welche seit 1978 nicht mehr aktualisiert wurde. Doch Bolivien hat sich in den letzten 41 Jahren stark gewandelt, die Zahl der Fahrzeuge ist enorm gestiegen, die Menschen sind vom Land in die Städte gezogen und die Autobahninfrastruktur wurde kontinuierlich ausgebaut. 

„Es gibt jedoch keine umfassende Gesetzesregelung, die sich mit den Risikofaktoren auseinandersetzt. Das Fahren unter Einfluss von Alkohol oder illegalen Drogen, überhöhte Geschwindigkeit, das Fehlen von Sicherheitsgurten, Schutzhelmen oder Kindersitzen sind teilweise durch Vorschriften abgedeckt, aber so formuliert, dass sie viel Raum für persönliche Interpretationen lassen“, erläutert Sofia anhand des folgenden Beispiels: „Für Motorradfahrer besteht Helmpflicht, aber es ist nicht eindeutig geregelt, ob sie ihn tatsächlich aufsetzen müssen oder es ausreicht, wenn er an der Rückseite des Gepäckträgers befestigt ist.“ 

In Bolivien steht das Thema Verkehrssicherheit jetzt auf der Tagesordnung 

Seit Ende 2016 setzt sich Sofia Salek de Braun für mehr Verkehrssicherheit in Bolivien ein. Mit einem Team von Experten aus Wissenschaft, Industrie und Nichtregierungsorganisationen (NROs/NGOs) organisierte sie einen einwöchigen „Road Safety Workshop“ in Santa Cruz, Bolivien. Hauptziel der Veranstaltung war es, alle teilnehmenden Institutionen für das Thema Verkehrssicherheit zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, ein wirksames Verkehrssicherheitssystem zu verwalten, zu planen und zu entwickeln. Hierzu war es wichtig, alle Regierungs- und Polizeiebenen sowie Bürgerorganisationen, Universitäten und Straßenteilnehmer zu mobilisieren, um eine nachhaltige Lösung zur Bekämpfung der vorherrschenden Verkehrssicherheitsrisiken zu entwickeln.  

„Die Resonanz der öffentlichen und lokalen Behörden war überwältigend“, erinnert sich Sofia. „Zum ersten Mal saßen Mitglieder nationaler, regionaler und lokaler Regierungen mit Vertretern von Polizei, Universitäten, Industrie, Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen am selben Tisch – eine absolute Neuheit in Bolivien.“ 

Eines der wichtigsten Ergebnisse des Workshops war die Ausarbeitung einer „Road Safety Charter for Bolivia“, die von allen teilnehmenden Organisationen als Grundlage für eine Verkehrssicherheitsstrategie unterzeichnet wurde. Zudem einigten sie sich darauf, eine Behörde für Verkehrssicherheit auf nationaler Ebene einzurichten. Weitere Maßnahmen sollen folgen. 

Technische Zusammenarbeit

Die positive Resonanz auf diese Veranstaltung veranlasste die lateinamerikanische Entwicklungsbank Corporación Andina de Fomento (CAF), konkrete Schritte zu ergreifen. 

Seit dem Frühjahr 2017 setzt die CAF mit Mitteln der Global Road Safety Facility (GRSF) die Road Safety Charter kontinuierlich um und positioniert – gemeinsam mit den Behörden – die Verkehrssicherheit als ein wichtiges Thema, das Teil der Infrastrukturentwicklung des Landes werden muss. Es wurde ein Expertenteam gebildet, dem auch Salek de Braun angehörte, das Bolivien bei der Umsetzung zahlreicher Maßnahmen im Bereich der technischen Zusammenarbeit unterstützte. Das zuständige Ministerium der bolivianischen Regierung erteilte dem Projektteam die Genehmigung, die veraltete Straßenverkehrsordnung zu überarbeiten und an der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs zum Thema Verkehr und Verkehrssicherheit mitzuwirken. 

Die Zukunft auf Boliviens Straßen: Ergebnisse und Ausblicke

Im Februar 2019 wurde das Projekt „Technische Zusammenarbeit“ erfolgreich abgeschlossen. So sorgten spezifische Maßnahmenpakete in vier Städten und auf nationaler Ebene für mehr Verkehrssicherheit: in zwei Städten (Santa Cruz und Tarija) wurde ein fünfjähriger Aktionsplan für die Straßenverkehrssicherheit ausgearbeitet, die lokale Regierung kündigte sogar ein lokal anwendbares Gesetz an, das die Umsetzung des Plans unterstützen werde. Darüber hinaus wurde die Verkehrssicherheitslage in El Alto untersucht. In La Paz wurden ein alternatives Bußgeldverfahren sowie mehrere Schulungen rund um das Thema Verkehrssicherheit entwickelt. Die Ausarbeitung und Überarbeitung des Gesetzesentwurfs zum Thema Verkehr und Straßenverkehrssicherheit wurde auf nationaler Ebene begleitet. Dieser soll als Rahmenwerk für die institutionelle Regelung der bolivianischen Verkehrssicherheitspolitik dienen. 

Als Abschlussveranstaltung dieser technischen Kooperation und zur Vertiefung des Themas Verkehrssicherheit fand ein zweitägiger Verkehrssicherheitsworkshop unter der Leitung von Despacio und WRI statt, der in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Rahmen der Transformative Urban Mobility Initiative (TUMI) organisiert wurde. Nicht nur die Vertreter der Stadtverwaltungen der vier Städte, sondern auch Vertreter der nationalen und regionalen Regierungen, der Polizei, Universitäten, NGOs sowie der Zivilgesellschaft und der Medien nahmen teil. „Mein persönliches Highlight des Abschlussworkshops war, dass der stellvertretende Minister für Bürgersicherheit, Wilfredo Chavez (zuständig für Verkehrssicherheit), persönlich teilnahm und aktiv zu diesem Thema beitrug. Seine Anwesenheit unterstreicht einmal mehr die Bedeutung des Themas; sie zeigt uns, dass es nun auf höchster politischer Ebene behandelt wird“, sagt Salek de Braun. „Vor drei Jahren steckte das Thema Verkehrssicherheit in Bolivien noch in den Kinderschuhen. Jetzt gibt es Aktionspläne, geschulte Akteure und Gesetzesentwürfe sowie das notwendige Bewusstsein. Man ist nun entschlossen, das Thema voranzutreiben und Boliviens Straßen endlich sicherer zu machen. Aber es gibt auch noch viele Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Verkehrssicherheit ist ein Prozess, der kontinuierliches Engagement erfordert.“

Erfahren Sie mehr über dieses Thema und das Projekt Vision Zero in unserem Artikel:
Verkehrssicherheit: Auf dem Weg zu Vision Zero

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