Die Bilder gingen um die Welt, als im August 2018 nach einem Unwetter die Morandi-Autobahnbrücke in Genua einstürzte. Das Unglück, das 43 Menschen das Leben kostete, zeigte deutlich, welch wichtige Rolle eine sichere und widerstandsfähige Verkehrsinfrastruktur spielt. So misst die Bundesregierung sowie die Europäische Kommission dem Schutz kritischer Verkehrsinfrastruktur höchsten Stellenwert bei. Dabei liegt der Fokus aber nicht nur auf Prüfsystemen, die den Zustand solch kritischer Bauwerke zum Beispiel in Bezug auf Alter und Abnutzung bewerten. Vielmehr liegt das Augenmerk darauf, die Resilienz der Verkehrsinfrastruktur gegenüber unvorhersehbaren Ereignissen insgesamt zu erhöhen. Wir haben im Interview mit Alexander Dahl aus dem PTV Research Team gesprochen, der aktuell in einem vom BMVI gefördert und von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) koordinierten Projekt zu diesem Thema forscht.

Resilienz scheint aktuell ein echter Modebegriff. Resilienz in Bezug auf Corona, in Sachen Klimawandel, resiliente Städte – was bedeutet Resilienz in Sachen Straßeninfrastruktur?

Alexander: Neu ist der Begriff Resilienz im Verkehrssektor nicht. In der Forschungsabteilung beschäftigen wir uns schon seit mindestens zehn Jahren mit diesem Themenfeld und haben viele spannende Projekte gemacht. Bei U-THREAT zum Beispiel ging es um die Resilienz von U-Bahn-Systemen. Bei SkribtPlus um den Schutz von kritischen Tunneln und Brücken.

Im Prinzip beschäftigt sich das Konzept der Resilienz damit, wie gut Verkehrsinfrastruktur Schäden infolge disruptiver Ereignisse verkraften kann, bzw. wie eine schnelle Wiederinbetriebnahme ermöglicht werden kann. Wenn kritische Streckenelemente längere Zeit nicht zur Verfügung stehen, kann das schließlich zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten führen. Wir haben in der Vergangenheit bereits einige Projekte wie RITUN bearbeitet, um die Höhe dieser Kosten auf der Basis von Visum und Validate zu quantifizieren.

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Von was für disruptiven Ereignissen reden wir da?

Alexander: Es geht um Ereignisse, die unvorhersehbar sind und damit auch ein Stück weit selten auftreten, etwa bedingt durch Naturereignisse, menschliche Einwirkungen oder technisches Versagen. Nehmen wir zum Beispiel den Unfall eines Tanklasters mit hochbrennbaren Materialien im Tunnel, terroristische Anschläge oder extreme Wetterereignisse, wie Starkwinde an Brücken oder Hangrutschungen als Folge von Dauerregen.

Du arbeitest aktuell gemeinsam mit dem Schweizer Beratungsunternehmen EBP Schweiz AG an dem durch das BMVI geförderten Projekt FE69.0005 „Optimierung und Weiterentwicklung von Handlungshilfen zur Resilienzbewertung der Verkehrsinfrastruktur“. Auftraggeber und Initiator des Projektes ist die BASt. Um was geht es in dem Projekt?

Alexander: Ziel des Projektes ist es, Praxisanwender*innen wie Baulastträgern oder den Straßenbauverwaltungen ein Softwaretool an die Hand zu geben, um die Resilienz der Verkehrsinfrastruktur selbst einzuschätzen.

Das Tool soll Analysen ermöglichen, wie resilient ein ganz konkreter Streckenabschnitt gegenüber verschiedensten, disruptiven Ereignissen ist und geeignete Maßnahmen aufzeigen, um die Resilienz gezielt zu erhöhen. Das heißt, die Gefährdung abzuwehren, sich bestmöglich anzupassen oder ggf. schnell zu erholen.

Ein erstes Konzept sowie ein Prototyp des Tools zur Umsetzung der Methodik wurde von der EBP bereits in einem Vorgängerprojekt entwickelt. Jetzt geht es darum, sie methodisch weiterzuentwickeln, den Anwendungsbereich und die Maßnahmen auszuweiten. Aktuell ist das Tool auf das Fernstraßennetz beschränkt, irgendwann sollen zum Beispiel auch die Verkehrsträger Schiene und Wasser einbezogen werden.

Kannst du ein Beispiel nennen, wie solch eine Analyse aussehen kann?

Alexander: Nehmen wir das Beispiel Brücke und Starkwind. Was passiert, wenn an dieser Brücke ein Starkwind auftritt? Ist sie stark genug, um damit umzugehen? Oder könnte sie in starke Schwingung geraten und abstürzen? Besteht Gefahr für Verkehrsteilnehmer*innen? Könnte ein Fahrzeug zum Beispiel von der Brücke geweht werden? Muss sie im Fall eines solchen Ereignisses gesperrt werden?

Maßnahmen können dann sowohl infrastrukturell, also das Bauwerk selbst betreffend, als auch organisatorisch oder betrieblich sein. Wie zum Beispiel sehen Notfallpläne aus, wenn die Brücke gesperrt werden muss? Welche Umfahrungsmöglichkeiten gibt es? Muss vorab schon ein System von Umleitungsstrecken, wie wir es von Autobahnen kennen, für den Notfall definiert und beschildert sein?

Alexander Dahl, PTV Group
Alexander Dahl arbeitet im Forschungsteam der PTV Group.
Das Tool richtet sich also hauptsächlich auf die Bewertung von Brücken und Tunneln?

Alexander: Tunnel und Brücken gehören natürlich zur besonders kritische Verkehrsinfrastruktur und stehen deshalb im Fokus. Ein brennender Lkw mit Gefahrgut ist natürlich im Tunnel viel gefährlicher als auf der freien Strecke. Aber auch auf freien Streckenabschnitten können Probleme auftreten. Überschwemmungen durch Starkregen zum Beispiel oder ein Hangrutsch. Erst im letzten Sommer musst die A8 bei Rosenheim wegen Überflutung nach starken Regenfällen gesperrt werden. Gerade solche Extremwetterereignisse werden durch den Klimawandel weiter zunehmen. Umso wichtiger sind Konzepte, um die Resilienz zu erhöhen.

Forschung bei der PTV Group

Die PTV Group engagiert sich in nationalen und internationalen Forschungsprojekten, um in interdisziplinären Teams Konzepte, Strategien und Modelle für den Verkehr von Morgen zu entwickeln.

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