Bereits seit einiger Zeit spielt das Fahrrad als Verkehrsmittel in der Verkehrsplanung eine wichtige Rolle. Neben positiven städtebaulichen Effekten – Fahrräder benötigen deutlich weniger Fläche zum Fahren oder Parken als PKW- ist das Fahrrad auch aus Sicht des Klimaschutzes und der Luftreinhaltung von großer Bedeutung. Und die Auswirkungen von Radförderungen sind groß: So hat z.B. Karlsruhe in einem „Handlungskonzept fahrradfreundliches Karlsruhe“ beschlossen, den Radverkehrsanteil im sogenannten Modal Split (= die prozentuale Verteilung des Verkehrsaufkommens auf die genutzten Verkehrsmittel) von 16 Prozent (2005) auf 25 Prozent (bis 2015) zu erhöhen. Das Ziel wurde bereits 2012 erreicht, ein neues war schnell gefunden: 2025 sollen 40 Prozent der Verkehrsteilnehmenden für ihre Wege das Fahrrad nutzen. Der Zuwachs dafür soll möglichst durch den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad erfolgen.
Christoph Erdmenger leitet die Abteilung Nachhaltige Mobilität im Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (VM). Der Geoökologe ist damit auch für den Radverkehr und die Radverkehrsplanung zuständig. „Es gibt verschiedene Maßnahmen, die für den Klimaschutz im Verkehr benötigt werden. Ein wichtiger Hebel ist, künftig jeden zweiten Weg auf aktive Modi wie Radfahren und zu Fuß gehen zu verlagern. Für die Veränderung der Rahmenbedingungen müssen wir wissen, wie stark einzelne Faktoren die Menschen in der Wahl ihres Verkehrsmittels beeinflussen. Wir beobachten, dass die Veränderungen in der Realität viel stärker sein können als die Verkehrsmodelle bisher prognostiziert haben,“ so Erdmenger.
Radverkehrsplanung als wichtiger Teil des Verkehrsmodells
Ein Verkehrsmodell kann helfen, die Wirkung von Radverkehrsmaßnahmen zu ermitteln. Das digitale Ebenbild einer Stadt bzw. einer Region enthält Informationen unterschiedlicher Datenquellen. Auf dieser Grundlage können Verkehrsanalysen durchgeführt und „Was wäre, wenn“-Annahmen untersucht werden, wie beispielsweise: „Was wäre, wenn es in meiner Stadt mehr Radschnellwege gäbe? Wie viel Menschen würden dann ihr Auto stehen lassen?“ Verlässliche Antworten auf diese Fragen sind essenziell für die Verkehrsplanung. Moderne Verkehrsmodelle beinhalten den Radverkehr und versuchen daher Maßnahmen zur Radverkehrsförderung abzubilden. Ältere Verkehrsmodelle vernachlässigen die Radverkehrsplanung und können zu diesem Zweck oftmals nur bedingt verwendet werden.
Dr. Volker Waßmuth, Fachbereichsleiter Verkehrsplanung bei der PTV Transport Consult, stellt fest: „Seit ungefähr 20 Jahren wird die Radverkehrsplanung in der Verkehrsmodellierung mitberücksichtigt, leider häufig nur rudimentär. Das liegt zum Teil an mangelnden Datengrundlagen, zum Teil aber auch an den politischen Schwerpunkten der Vergangenheit. Lange Jahre hatten Neu- und Ausbau für den Kfz-Verkehr in der Politik einen höheren Stellenwert als Studien zum Radfahren. Es gibt noch großen Handlungsbedarf, sowohl politisch als auch methodisch.“
Ein Forschungsprojekt soll Aufschluss geben
Wie können oder müssen Verkehrsnachfragemodelle also verbessert werden, damit sie auch die Bereitschaft zum Umstieg bei den Verkehrsmitteln besser beantworten können? Mit Förderung des baden-württembergischen Verkehrsministeriums und der Stadt Ludwigsburg arbeiteten die PTV AG und die PTV Transport Consult von November 2019 bis März 2020 daran, die Abbildung des Radverkehrs in einem Verkehrsmodell zu verbessern: Referenz Fact Sheet Radverkehr in Ludwigsburg
Viele der Faktoren für die Entscheidungen in der Verkehrsmittelwahl sind objektive und quantifizierbare Kenngrößen, wie beispielsweise Reisezeiten und -kosten, die aber im Modell meistens nur als Schätzwert abgebildet werden. Hinzu kommt eine unbekannte Restgröße (in der Fachsprache die sogenannte Verkehrsmittelkonstante), die schwer zu bestimmen ist, da es sich dabei zum großen Teil um das subjektive Empfinden des Einzelnen handelt. Dieses lässt sich nur bedingt bestimmen. Einfluss auf die Entscheidung, ob ein Weg mit dem Fahrrad zurückgelegt wird, haben unter anderem das persönliche Sicherheitsgefühl auf bestimmten Wegen oder Antworten auf Fragen nach der körperlichen Konstitution, dem Wetter und der Wahrnehmung der Radwegequalität. Diese und weitere Punkte werden heute in einer Verkehrsmittelkonstante festgeschrieben, die sich in der Modellanwendung nicht verändert. Das Verkehrsmodell wird mit Hilfe von Haushaltsbefragungen überprüft und genormt.
Fabian Weinstock, Verkehrsexperte bei der PTV Transport Consult, erklärt das Vorgehen näher: „Wir kennen den großen Einfluss der subjektiven Einstellung der Verkehrsteilnehmenden. Wir wissen aber nicht, wie sich diese in der Verkehrsprognose ändert. Die Idee hinter dem Projekt war, die Aussagefähigkeit des Modells zu verbessern. Für eine konkrete Radverkehrsplanung haben wir im ersten Schritt das Verkehrsnetz verfeinert und das Verkehrsmodell dabei um ein eigenständiges Radwegenetz ergänzt. Hierbei werden die Wege nach Qualitätskriterien bewertet (z. B. reine Fahrradstraße, Mischverkehr, gemeinsamer Geh- und Radweg…). Außerdem haben wir einen Widerstand auf Strecken sowie in Knotenpunktbereichen in das Modell integriert. Bei diesem Widerstand spielt das subjektive Sicherheitsgefühl eine große Rolle. Wenn viele Kfz auf der Straße unterwegs sind, fühle ich mich als Radfahrer nicht sicher und entscheide mich möglicherweise deshalb für ein anderes Verkehrsmittel.“
Fazit
Auf Basis des detaillierteren Modells lassen sich nun Wechselwirkungen zum Beispiel des Rad- und MIV-Verkehrs sowie Qualitätsunterschiede in der Radinfrastruktur besser abbilden. Das sind für die allgemeine Radverkehrsplanung wichtige Größen. Durch den wissenschaftlichen Ansatz ist das Prinzip reproduzier- und auf andere Städte und Verkehrsnetze übertragbar. Der Vorgang selbst läuft weitgehend standardisiert und mit überschaubarem Aufwand. Trotzdem steht die Forschung zur Einbindung des Radverkehrs in Verkehrsnachfragemodelle noch am Anfang. Zwar ist die Verkehrsmittelkonstante im Projekt erfolgreich reduziert worden, trotzdem ist der verbliebene unbekannte Einfluss noch zu groß. Um mehr über das Verhalten des Einzelnen herauszufinden braucht es zusätzliche Erhebungen und weiterführende wissenschaftliche Studien, die die Grundlage für zukünftige Untersuchungen liefern.