Das Fahrrad gilt als eines der Schlüsselelemente für die Verkehrswende, insbesondere in urbanen Gebieten. Um mehr Menschen zum Radfahren zu bewegen, ist eine sichere und attraktive Infrastruktur unerlässlich. Ein neues internationales Projekt erstellt eine Übersicht über die Radverkehrssicherheit in fünf Städten, um Infrastrukturrisiken besser zu verstehen. Wir sprachen mit Monica Olyslagers vom International Road Assessment Programme (iRAP) und Sofia Salek de Braun, Road Safety Botschafterin der PTV Group, über das Projekt.
Warum spielt ein sicherer Radverkehr eine so große Rolle in der Verkehrswende?
Sofia: „Das Fahrrad steht für moderne klimafreundliche Mobilität. Es ist effizient, umweltfreundlich, erschwinglich und gesundheitsförderlich. Aber leider sind Radfahrende im Straßenverkehr großen Risiken ausgesetzt. Das hält viele Menschen davon ab, das Fahrrad als alternatives Verkehrsmittel zu nutzen. Die Infrastruktur muss sich ändern. Die Menschen werden ihr Mobilitätsverhalten nicht ändern, wenn die Straßen weiterhin für Radfahrende gefährlich sind und sie Gefahr laufen, schwer verletzt oder getötet zu werden. Deshalb ist für uns die Kooperation mit iRAP, Fundación MAPFRE und der Union Cycliste Internationale zum Thema Fahrradsicherheit ein wichtiges Anliegen.
Im Rahmen des Projekts wird das wissenschaftsbasierte Risikobewertungsmodell CycleRAP nun in fünf Pilotstädten eingesetzt, nämlich in Madrid und Barcelona, Spanien, Bogota, Kolumbien, São Paulo, Brasilien und Fayetteville, USA. Was genau ist CycleRAP?
Monica: Wir haben CycleRAP letztes Jahr auf der Velo-City-Konferenz in Ljubljana, Slowenien, und auf der Veranstaltung des ITF Safer City Streets Network in Guadalajara, Mexiko, vorgestellt. Es handelt sich dabei um ein Risikobewertungsmodell speziell für Mikromobilität wie z. B. Fahrräder, E-Bikes, Roller usw. Mit Hilfe des Modells können anhand von Infrastrukturmerkmalen einer Straße oder eines Weges gefährliche Stellen identifiziert werden. Auf diese Weise können Städte Hotspots auch ohne tatsächliche Unfalldaten erkennen, Vorschläge für notwendige Sicherheitsmaßnahmen machen und Prioritäten setzen. Dabei wird nicht nur das Risiko von Zusammenstößen mit motorisierten Fahrzeugen berücksichtigt, sondern auch das von Unfällen mit anderen Fahrrädern, Fußgängern bis hin zu solchen, an denen kein anderer Verkehrsteilnehmender beteiligt ist. CycleRAP basiert auf Studien über Unfälle im Bereich der Mikromobilität aus der ganzen Welt und ist so konzipiert, dass es überall eingesetzt werden kann.
Was passiert jetzt in den Pilotstädten?
Monica: In jeder der Pilotstädte legen die lokalen Partner fest, welche Straßen oder Wege bewertet werden sollen. Dies hängt davon ab, welche Problemstellungen sie angehen wollen, z. B. die Verbesserung der Sicherheit für Pendler*innen oder in der Nähe von Schulen, die Behebung bestimmter bekannter Probleme oder die Erweiterung von Straßen. Für das CycleRAP Modell werden Videobilder sowie Daten über die Geschwindigkeit und den Verkehrsfluss für den Bereich gesammelt. Die Ergebnisse werden dann in Karten dargestellt, aus denen hervorgeht, wie sicher die Infrastruktur für Radfahrenden oder Nutzenden einer anderen Micromobility-Art ist. Dem Städten wird einen nach Prioritäten geordneten Plan für Sicherheitsmaßnahmen geliefert. Es ist das erste Mal, dass CycleRAP außerhalb von Europa angewendet wird.
Was ist das Ziel der Städte?
Monica: Es gibt keine globalen Standards für Fahrradinfrastruktur. Die Städte sind sehr unterschiedlich, was die ihre Gestaltung, die Nutzungsraten von Mikromobilität und die Art der Fahrzeuge angeht. In vielen Städten hat sich in den letzten Jahren viel getan. Die Förderung von aktiven und nachhaltigen Verkehrsmitteln hat für Veränderungen gesorgt, genauso wie spontane Reaktionen beispielsweise auf die Pandemie oder die steigenden Energiepreise.
Das Ziel ist letztlich für alle fünf Pilotstandorte dasselbe: die Verbesserung der Sicherheit der Infrastruktur für den Radverkehr und Mikromobilität. Indem wir die Pilotprojekte an verschiedenen Orten durchführen, können wir zeigen, wie das CycleRAP in verschiedenen Umgebungen angewendet werden kann und eine Reihe spezifischer lokaler Bedürfnisse und Ziele erfüllt.
Welchen Beitrag leistet die PTV im Projekt?
Sofia: PTV wird mit einer der Pilotstädte an der Visualisierung der Ergebnisse des CycleRAP-Modells arbeiten und Infrastrukturverbesserungen bewerten. Wir erstellen ein Verkehrsmodell der Stadt basierend auf unserer neuesten Technologie PTV Model2Go und OpenStreetMap-Daten, was eine detaillierte Konfiguration des städtischen Fahrradnetzes ermöglicht. Die Daten von CycleRAP werden dann in der multimodalen Netzwerk- und Analyseplattform PTV Visum genutzt, um Sicherheitsanalysen für Fahrradkorridore zu managen, zu berechnen und zu visualisieren.
Auf was zielt das Projekt generell ab?
Monica: Als wir CycleRAP entwickelten, bekundeten Städte weltweit Interesse an dem Tool. Es gibt einen deutlichen Bedarf an Werkzeugen, Daten und anderen verfügbaren Hilfsmitteln, die Städten dabei unterstützen, auf die Nachfrage zu reagieren, Probleme im Radverkehrsnetz zu erkennen und anzugehen, bzw. generell einen ersten Ansatzpunkt zu finden. CycleRAP zielt darauf ab, Städten zu helfen, die Risiken der Infrastruktur für Radfahrende und Mikromobilitäts-Nutzende zu verstehen und gibt Empfehlungen, sie sicherer zu machen. Das aktuelle Projekt trägt dazu bei, dieses Ziel zu erreichen, indem es bewährte Verfahren aus einer Reihe von Fallstudien und Leitfäden vorstellt, um andere Städte bei der Verwendung von CycleRAP zu unterstützen.
Wann wird es die ersten Projektergebnisse geben?
Die Projektergebnisse sollen im Oktober 2023 vorliegen. Die Berichte werden den Städte Einblicke in die Sicherheit ihrer Straßen geben und Empfehlungen zur Reduzierung von Hotspots geben. Auf dem UCI Mobility and Bike City Forum am 25. und 26. Oktober 2023 in Brügge, Belgien stellen wir zudem eine Wissensdatenbank vor, die anderen Städten dabei helfen soll, die Ansätze zu übernehmen und die Sicherheit ihrer Radinfrastruktur zu verbessern.