Wenn wir vom Boden abheben
Weltweit leben immer mehr Menschen in Städten, mit steigender Tendenz. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 zwei Drittel (68 Prozent) der Erdbevölkerung im urbanen Raum leben werden. Diese Entwicklung stellt Städte- und Verkehrsplaner*innen vor neue Herausforderungen, die Verkehrsinfrastruktur im urbanen Raum nachhaltig und zuverlässig zu gestalten. Disruptive Technologien könnten da bisher unerschlossene Potenziale bieten. So zum Beispiel elektrische, autonome Flugtaxis.
Flugtaxis, die vertikal starten und landen können (VTOL für Vertical Take-off and Landing), haben in den letzten Jahren als zuverlässige und schnelle Alternative zu traditionellen landgebundenen Verkehrsangeboten große Aufmerksamkeit geweckt. Die Distanz zwischen zwei Zielen ist auf dem Luftweg im Schnitt 60 Prozent kürzer – Grund genug, um Lufttaxis als ernstzunehmenden Teil des Mobilitätsmix zu untersuchen.
Die Idee ist ein Flugtaxis-Dienst auf On-demand-Basis mit einem Netzwerk aus Landeplätzen (sogenannten Hubs), an denen Fahrgäste zu- oder aussteigen. Flugtaxis operieren losgelöst von Straßennetzen, sind damit unabhängig von Staus und haben daher geringe bis gar keine Abweichung zur errechneten Ankunftszeit. Ein besonders vielversprechender Anwendungsfall ist der Einsatz von Flugtaxis als Shuttleservice zu Flughäfen. Diese Möglichkeit wird bereits von einigen großen deutschen Flughäfen aktiv untersucht. Unter anderem forscht die Fraport AG in Kooperation mit Volocopter daran, Kund*innen und Reisenden diesen Service in naher Zukunft anzubieten. Natürlich ist dieser Dienst nicht von Anfang an massentauglich – hohe Herstellungskosten reduzieren den Kreis potenzieller Nutzer*innen vorerst. Mit steigenden Nutzungszahlen, schießt auch die Produktion in die Höhe und macht damit jede Fahrt unweigerlich günstiger. Aktuell arbeiten 120 Firmen daran, diese Vision Realität werden zu lassen.
Akzeptanz als Schlüsselfaktor zum Erfolg
Die Aussicht auf Luftmobilität scheint vielversprechend. Doch würde die Einführung eines Flugtaxi-Netzwerkes die Erreichbarkeit in städtischen Gebieten tatsächlich verbessern? Unklar ist ebenfalls, wie groß die tatsächliche Nachfrage nach einem solchen Verkehrssystem wäre.
Zwischen 2011 und 2014 untersuchte das EU-Forschungsprojekt myCopter die Akzeptanz von Flugtaxis in der Bevölkerung in England, Deutschland und der Schweiz. Während die Testpersonen in Liverpool die Aussicht begeisterte, nicht mehr im Stau stehen zu müssen, reagierten die Schweizer in Zürich zurückhaltender. In Tübingen standen die deutschen Testpersonen der Idee größtenteils negativ gegenüber. Hauptkritikpunkt war die Sorge, das herumfliegende Fortbewegungsmittel zu sehr in die Privatsphäre des Einzelnen eindringen.
Ein Lösungsvorschlag für dieses Problem wäre, die Flugtaxis in speziellen Flugkorridoren fliegen zu lassen, die direkt über den Autobahnen eingerichtet sind. Hier herrscht ohnehin bereits Verkehr und Störungen in angrenzenden Wohngebieten sind auf ein Minimum reduziert.
Eine weitere Sorge der Probanden galt der Sicherheit. Prof. Dr. Heinrich H. Bülthoff, Leiter des myCopter Projekts und Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, hat dazu eine klare Meinung: „Es ist wirklich interessant, wie schlecht Menschen Wahrscheinlichkeiten wahrnehmen. Wir akzeptieren 3000 Opfer, die jedes Jahr bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen. Das Unfallrisiko ist aber in der Luft viel geringer als auf der Straße. Ein Flugtaxi wäre in der Lage, Hindernissen auszuweichen, indem es nicht nur seitlich, sondern auch über oder unter sie fliegt. Abgesehen davon können wir für den Flugverkehr eine automatische Kommunikation einsetzen, ähnlich der Car-to-Car-Kommunikation. Im Gegensatz dazu werden in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Autos auf den Straßen unterwegs sein, die diese Kommunikationssysteme nicht aufweisen.“[1]
[1] https://www.mpg.de/12746254/air-taxis-are-coming-soon
Infrastruktur als Schlüssel zum Erfolg
Die Akzeptanz in der Gesellschaft ist ausschlaggebend für die Etablierung des Flugtaxis als Ergänzung zum ÖV. Ein weiterer wichtiger Faktor ist eine Infrastruktur, die den Dienst unterstützt. Dabei stellen sich potenziellen Anbietern die unterschiedlichsten Fragen: Wo sollten Hubs errichtet werden, um möglichst viele Kunden zu erreichen? Welches Fahrpreisschema ist rentabel? Wie groß muss die Flugtaxi-Flotte sein, um ein ausreichendes Serviceniveau zu gewährleisten?
Städte interessiert dagegen vor allem die Frage, wie die angespannte Situation auf den Straßen entlastet werden könnte, wenn ein Teil des Verkehrs in die dritte Dimension verlagert wird. In Großstädten ist freier Raum Mangelware. Die Einrichtung der Hubs, inklusive Platz für Energieversorgung, Wartung, Instandsetzung etc., erfordert Fläche, die entsprechend erschlossen sein muss. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise die Zweckentfremdung von Gebäudedächern, wie das heute schon für Helikopter der Fall ist. Schätzungen zufolge wären die dafür notwendigen Investitionen deutlich geringer als die Kosten für den Bau neuer Bahnhöfe oder Flughäfen.
Die Kombination aus Multimodalität und des on-demand Charakters des Flugtaxiverkehrs, sowie die Notwendigkeit Standorte für Landeplätze auszuwählen, stellen Herausforderungen dar, mit denen sich Verkehrsmodellierer befassen müssen. Verkehrsnachfragemodelle können dabei helfen, die Auswirkungen von Flugtaxis auf die Verkehrssituation in Städten vorab zu simulieren und analysieren. Dr. rer. Nat. Nikolaos Kainaris, Dr. Petr Senk und Udo Heidl entwickelten einen Modellierungs-Algorithmus, der diese Herausforderungen adressiert und eine Vorlage für die Verkehrsnachfragemodellierung von Flugtaxis bilden kann.