Die gute Nachricht: Die Zahl elektrisch betriebener Fahrzeuge auf unseren Straßen nimmt zu. Sogar bei E-Lkws ist die Anzahl an Neuzulassungen im Jahr 2021 in der EU insgesamt um 26,6 Prozent gegenüber 2020 gestiegen – wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Die schlechte Nachricht: Während sich die EU auf ein Aus von Verbrennungsmotoren ab 2035 festgelegt hat, führen die durch den Ukraine-Konflikt ausgelöste weltweite Energiekrise und der höhere Kohleanteil in der Stromerzeugung aktuell zu einer schlechteren CO2-Bilanz von Elektrofahrzeugen als vorher verlautet. Selbst das Etikett Öko-Strom auf der Ladesäule bringt nicht die erwartete Umweltentlastung: Weil die regenerativen Energien zur Bedarfsdeckung des Landes nicht ausreichen. Auch die öffentliche Ladeinfrastruktur erscheint vielerorts als unzureichend; viele weitere Investitionen sind zum Ausbau der Elektromobilität (E-Mobilität) nötig. Experten des Karlsruher Instituts für Technologie sehen demnach die CO2-Bilanz eines modernen, hybridisierten Verbrenners weiterhin als unschlagbar an. Ist das das Ende der Verkehrswende?

Dr. Matthias Pfriem verfügt über langjährige Forschungserfahrung im Bereich E-Mobility – und hält im Interview dagegen.

Der Gaslieferstopp Russlands und die dadurch ausgelöste weltweite Energiekrise stellen den Ausbau der E-Mobilität vor große Hürden. Ist das Projekt Verkehrswende in Gefahr?

Dr. Matthias Pfriem
Dr. Matthias Priem, Experte für E-Mobilität, sieht die großen Herausforderungen – aber auch individuelle wie gesellschaftliche Vorteile der E-Mobilität.

“Definitiv nicht. Natürlich stellt die Energiekrise – oder fast schon der Energiekrieg – eine große Herausforderung für uns alle dar. Auch für die Verkehrswende. Grundsätzlich ist es gut, dass dadurch Abhängigkeiten in den Fokus gerieten und man nun beginnt, sie abzuschaffen. Dazu müssen wir jetzt auch dringend den Ausbau der erneuerbaren Energien für die Stromproduktion in Deutschland beschleunigen. Für die E-Mobilität gilt aber nach wie vor unverändert: Wir machen es nicht, um es besonders günstig zu machen! Der Treiber hinter der Elektrifizierung des Verkehrs war nie, die Individualmobilität günstiger auszugestalten als heute. Die zentrale Motivation für die Umstellung auf Elektrofahrzeuge ist die Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Also die nachhaltige Reduktion der Emissionen des Treibhausgases CO2, weil wir den menschengemachten Klimawandel begrenzen möchten. Mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes hat die deutsche Regierung das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 verankert und bereits für 2030 eine Reduktion der Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 geplant. Für den Verkehrssektor ist die Elektrifizierung die wirksamste Maßnahme. Auch wenn der stark steigende Strompreis derzeit einen Dämpfer darstellt und die ad hoc Umstellung der Lieferketten den Strom für den Moment schmutziger macht: An dieser strategischen Ausrichtung sollte nicht gerüttelt werden. Denn mittelfristig haben wir uns dazu verpflichtet, dass auch der Strom immer sauberer wird.

Auch aus Sicht der Automobilindustrie sind die Hebel schon länger in Richtung Elektrifizierung gestellt. Bis eine neue Fahrzeuggeneration auf den Markt kommt, vergehen heute typischerweise fünf Jahre Entwicklungsarbeit bei Herstellern und Zulieferern. Die Modelloffensive, die wir schrittweise im Markt ankommen sehen, ist also schon lange in der Entwicklungspipeline.

Nach und nach erwarte ich immer attraktivere und nachhaltigere Automobile: Neben dem reinen Antriebswechsel in bestehenden verbreiteten Pkws ermöglichen die vergleichsweise einfach und kompakt darstellbaren elektrischen Antriebe ganz neue Fahrzeugtypen oder -kategorien, insbesondere auch in kleinen Größen. Das bietet uns erhebliche Potenziale bei der Effizienzsteigerung im motorisierten Individualverkehr. Meine Empfehlung lautet: Elektrofahrzeuge von klein bis groß und mit unterschiedlichen Reichweiten anzubieten, weil wir dann für unterschiedliche Nutzungsprofile oder -zwecke die bestmögliche Lösung im Sinne eines Purpose-Designs verfügbar haben.”

Der Koalitionsvertrag spricht von mindestens 15 Millionen vollelektrischer Pkws bis 2030: Wieviel Strom braucht man für diese Zahl an E-Autos?

“Den Bedarf kann man überschlägig abschätzen: Wir wissen aus Studien, dass ein Pkw in Deutschland im Schnitt zirka 14.700 Kilometer pro Jahr fährt. Und auf einer Strecke von 100 Kilometern braucht ein vernünftig konzipiertes Auto etwa 20 Kilowattstunden Strom oder sogar weniger. Das ergibt pro Fahrzeug und Jahr in erster Näherung einen Bedarf an 3.000 Kilowattstunden. Für 15 Millionen E-Autos sind das pro Jahr 44 Milliarden Kilowattstunden oder 44 Terrawattstunden. Um einen Bezug zu geben: Im Jahr 2020 gab es in der BRD einen Stromverbrauch von 550 Terrawattstunden – d. h. acht Prozent an Stromverbrauch kämen durch 15 Millionen E-Fahrzeuge dazu.”

Und wo soll der Strom dazu herkommen, wenn schon jetzt ein Mangel herrscht oder zumindest droht?

“Für die Antwort lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit: Zwischen 2003 und 2008 gab es durchschnittlich einen Verbrauch von 660 Terrawattstunden. Das konnte man durch gezielte Sparmaßnahmen bis zum Jahr 2020 um rund 10 Prozent senken. Deutschland hatte also schon einen Verbrauch auf einem Niveau, das dem heutigen Niveau plus 15 Millionen E-Fahrzeuge entspricht. Und sicher gibt es noch weitere Einsparmöglichkeiten. Aber es entsteht auch neuer Bedarf durch zum Beispiel Wärmepumpen. Wir kommen einfach um den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht herum. Weil sich aber die Dringlichkeit und daher auch die Bestimmungen geändert haben, dürfen die Möglichkeiten zur Gewinnung dieser Energien heute mit höherer Priorität ausgebaut werden.

The appropriate charging infrastructure for electric vehicles is still lacking. Photo by unsplash.com/@john_cameron
The appropriate charging infrastructure for electric vehicles is still lacking. Photo by unsplash.com/@john_cameron

Die Politik hat dem Ausbau erneuerbarer Energien mit einem neuen Zielwert besondere Bedeutung verliehen: 80 Prozent des Bruttobedarfs von 2030 soll mit diesen Energien gedeckt werden.”

Welche vielversprechenden Alternativen zur batterieelektrischen Antrieben gibt es mittelfristig noch?

“Benzin und Diesel werden bis 2030 natürlich die zentralen Energieträger für die Mobilität bleiben. Einfach, weil es so lange dauert, den Bestand von zirka 47 Millionen Kraftfahrzeugen nach und nach auszutauschen. Und E-Mobilität stellt bis dahin nur ein wachsendes Add-on dar. Zunehmend wird in Deutschland auch eine Wasserstoffwirtschaft aufgebaut, weil Wasserstoff für viele Industriezweige einen vielversprechenden Energieträger darstellt. In gewissen Domänen könnten sich damit auch Brennstoffzellenfahrzeuge als sehr gute Ergänzung von batterieelektrischen Fahrzeugen eignen. Fahrzeuge mit Brennstoffzelle haben gegenüber batterieelektrischen Fahrzeugen einen prinzipiellen Vorteil: Sie führen – ganz ähnlich wie heutige Diesel- oder Benzinfahrzeuge – den Energieträger Wasserstoff durch Betankung von außen zu. Dadurch lassen sich in kurzer Zeit große Energiemengen aufnehmen. Außerdem lässt sich Wasserstoff lagern und seine Erzeugung somit zeitlich von der Betankung entkoppeln. Das wiederum macht es möglich, den Strom zum dem Zeitpunkt für die Wasserstoffproduktion einzusetzen, wenn er ausreichend oder gar im Überschuss verfügbar ist und zu keiner zusätzlichen Netzbelastung führt. Es gibt jedoch auch entscheidende Nachteile. So sind zum einen die Brennstoffzellenfahrzeuge aus heutiger Sicht den batterieelektrischen Fahrzeugen im Pkw-Segment aus Kostensicht unterlegen, weil der Aufbau des Antriebssystems deutlich komplexer ist. Zum anderen – und das ist für mich der entscheidende Punkt – verliere ich einfach einen Teil der Energie durch Verluste der Wandlungsprozesse: Aus regenerativ erzeugtem Strom produziere ich erst mit Verlusten Wasserstoff und dann in der Brennstoffzelle im Fahrzeug mit Verlusten aus dem Wasserstoff wieder Strom für den Elektroantrieb. Daher ist es sinnvoller, den Strom direkt in die Batterie des E-Fahrzeugs zu laden. Sollten keine unerwarteten Durchbrüche auf Kosten- oder Effizienzseite stattfinden, sehe ich den Antrieb per Wasserstoff zukünftig auf der Straße eher bei Nutzfahrzeugen, zum Beispiel als Antrieb für den Fernreisebus oder für lange Transportrouten. Also dort, wo schnelle Betankung und hohe Energiedichte von übergeordneter Bedeutung sind. Brennstoffzellenfahrzeuge sind aus meiner Sicht daher keine allgemeine Alternative zu batterieelektrischen Fahrzeugen. Sie können aber sehr wohl eine sinnvolle Ergänzung darstellen.”

Der Hauptkritikpunkt an E-Mobilität ist die Ladeinfrastruktur. Aktuell gibt es zirka 60.000 Ladepunkte in Deutschland. Eine Millionen Ladesäulen sollen laut Koalitionsvertrag bis 2030 zur Verfügung stehen. Brauchen wir überhaupt so viele? Es existieren aktuell auch nur 14.000 Tankstellen.

“Wollen wir auch einen Systemwechsel oder nur Technologiewechsel? Ein reiner Technologiewechsel bedeutet, Schnellladepunkte für E-Fahrzeuge wie Tankstellen auszubauen. Diese müsste man dann ggf. über Umwege direkt anfahren und dort während der Energieaufnahme warten, so wie heute eben auch. Natürlich wird es das auch in Zukunft geben in Form von Schnellladehubs, die man beispielsweise auf langen Strecken ansteuert. Ein echter Systemwechsel ermöglicht uns jedoch, auch hier den Komfort zu steigern und solche Umwege im Alltag unnötig zu machen: Indem wir Ladeinfrastruktur dort schaffen, wo die Fahrzeuge sowieso hinfahren. Am Wohnort stehen die Fahrzeuge in der Regel viele Stunden des Tages, sodass die Fahrerinnen und Fahrer sie dort auch an Anschlusspunkten mit vergleichsweise geringen Ladeleistungen vollladen können. Genauso kann man sich auch die typischerweise langen Standzeiten am Arbeitsplatz als Ladegelegenheit zu Nutze machen. Letztlich wird die Frage der Ladeinfrastruktur auch eine Frage des betrieblichen Mobilitätsmanagements sein. Wenn wir die vielen Standzeiten gleichzeitig zum Laden verwenden, wäre das eine sehr nutzerfreundliche Lösung. Und eine große Zahl mit dem Stromnetz verbundener Fahrzeuge bietet eine Rückspeisemöglichkeit, das sogenannte bidirektionale Laden. Als verteilter Speicher entlasten und stabilisieren diese Autos damit das Stromnetz. Denn durch den steigenden Anteil an vergleichsweise volatilen regenerativen Energien in der Stromerzeugung steigt auch der Bedarf an Speichern im Netz.”

Was sind die wichtigsten Aspekte der E-Mobilität – heute und in Zukunft?

zone à faibles émissions

“Wir neigen leider dazu, oft die vermeintlichen Nachteile in den Fokus zu rücken und zu wenig die Chancen zu sehen, die auch hinter der Elektrifizierung stecken. E-Mobilität ermöglicht eine saubere und nachhaltige Individualmobilität mit bestehenden oder auch ganz neuen Fahrzeugkonzepten wie beispielsweise E-Scooter, die mit kleinen Verbrennern kaum erfolgreich gewesen wären. Elektrofahrzeuge zeichnen sich durch Ruhe, Laufkultur und – wenn gewünscht – auch besondere Fahrdynamik aus. Gerade die radindividuellen Antriebe bieten hier ganz neue Möglichkeiten zur Verbesserung der Fahrdynamik und Fahrsicherheit mit Torque Vectoring. Es geht hierbei um die gezielte Aufteilung des Antriebsmoments auf die einzelnen Räder, um das Einlenken zu unterstützen und die Agilität und Stabilität zu erhöhen. Aus Sicht der neuen Fahrerinnen und Fahrer bringt die E-Mobilität aber auch eine Vereinfachung. Die Fahrzeuge sind sehr leicht zu handhaben, man muss kein manuelles Getriebe bedienen, keinen Ölstand prüfen etc. Die private Lademöglichkeit vorausgesetzt, kann ich mir im Alltag den Weg zur Tankstelle sparen. Und das Ende der Entwicklung ist hier noch lange nicht in Sicht, gerade was die Integration ins Energiesystem angeht.

Grundsätzlich haben wir durch die E-Mobilität die Möglichkeit, unsere motorisierte Individualmobilität zu erhalten und dabei wesentlich umweltfreundlicher zu gestalten. Mit dem steigenden Anteil regenerativer Energien in unserem Strommix wird auch die Klimabilanz der Ökofahrzeuge automatisch immer besser. Zusätzlich werden wir immer unabhängiger von Gas- und Ölimporten.

Zu einer echten Verkehrswende gehört für mich aber auch, nicht nur den Antrieb im Pkw auszutauschen und sonst alles gleich zu lassen. Wir müssen da, wo es sinnvoll ist, auch auf andere Verkehrsmittel setzen. Also beispielsweise für die längeren Strecken quer durch Deutschland den Zug nehmen oder für die kurzen Wege in der Stadt das Fahrrad.”

Hintergrundinformationen zum Thema E-Mobilität

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2 thoughts on “EVs in der Krise? Wir machen es nicht, um es besonders günstig zu machen!

    1. Im Bereich der EVs ist viel in Bewegung. Wenn durch Kooperation und Digitalisierung weniger an Ladeinfrastruktur benötigt werden würde, würde das den weiteren Ausbau sicher begünstigen.

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