Panik oder Vernunft: Täglich informiert man sich über die aktuellen Infektionszahlen der Covid-19-Pandemie. Unternehmen jedweder Branche beobachten argwöhnisch die Entwicklung neuer Hotspots und prüfen mögliche Auswirkungen auf die eigene Geschäftsentwicklung. Schon trifft man Vorkehrungen für eine zweite Welle der Pandemie. Allen voran: die Logistik. Die Branche steht – wieder einmal – vor großen Herausforderungen.

Drahtseilakt nach erster Welle

Die vorläufige Ausgabe des OECD-Wirtschaftsausblicks vom Juni 2020 findet klare Worte für die Entwicklungen in den einzelnen OECD-Ländern und in ausgewählten Nicht-OECD-Volkswirtschaften. Demnach steht die deutsche Wirtschaft mit einem Rückgang des BIP um 6,6 Prozent in 2020 vor einer tiefen Rezession – ohne zweite Welle. Der Bericht stuft beispielsweise Lieferkettenprobleme, welche die Produktion der Automobilindustrie behindern, als größere Gefahr einer zweiten Welle ein. Gleiches gilt für den gesamten Euroraum und die USA. Schon in einem „Single-Hit-Szenario“ mit nur einer Pandemiewelle und einer Lockdown-Phase befürchtet man ein Schrumpfen des BIP um über neun Prozent im Euroraum. Im Falle eines „Double-Hit-Szenarios“ mit zweiter Welle erwartet man einen drastischen Rückgang um 11,5 Prozent. Auch hier spielen die internationalen Lieferketten eine große Rolle und die Diskrepanzen im Euroraum nehmen zu.

Aufgrund der Covid-19-Pandemie rechnet der Wirtschaftsausblick in den Vereinigten Staaten mit einem Rückgang von über acht Prozent in 2020. Bei einem – mittlerweile unwahrscheinlichen – Abklingen der Pandemie im Sommer fällt das BIP immer noch um sieben Prozent. Die in den USA herrschende hohe Arbeitslosenquote wird lt. Bericht in der Folge die Verbrauchernachfrage längerfristig schwächen – mit direkten Konsequenzen für die Nachfrage nach Transportdienstleistungen.

Direkter Kurs: Logistik Richtung zweite Welle

Die einerseits systemrelevante Logistik hat also deutlich mit den Folgen der ersten Pandemiewelle zu kämpfen. Schon bereiten sich viele Transportunternehmen, Speditionen, Logistikdienstleister auf eine mögliche zweite Welle vor. Manch eine Firma stellt ihr Geschäftsmodell um.

Eine Vorzeigefirma in Sachen Reduzierung der Pandemiefolgen ist das ungarische Logistikunternehmen  Waberer’s Internationale Nyrt. (Waberer’s). Mit einer Flotte von mehr als 4.100 Lkws sowie 7.600 Mitarbeitern zählt das Unternehmen zu den Marktführern im internationalen Komplettladungsverkehr (FTL) in Europa, d.h. in Transporten, bei denen eine Komplettladung in einem Transportfahrzeug befördert wird. Zudem ist die Firma ungarischer Marktführer auf dem Gebiet der Inlandsfracht und komplexer Logistikdienstleistungen. Zu Beginn der Coronakrise führte Waberer’s sofortige Kostensenkungsmaßnahmen ein, um die kurzfristige finanzielle Stabilität in dem sich verändernden Umfeld zu erhalten. Infolgedessen konnte das Unternehmen in der kritischen Phase des Lockdowns eine stabile und kontinuierliche Dienstleistung anbieten.

Tibor Dudola, Strategic Buyer bei Waberer’s International, sieht sein Unternehmen gut vorbereitet, wenn die Logistik eine zweite Welle trifft: „In dieser Situation sind Flexibilität und Schnelligkeit bei der Erfüllung der sich ändernden Marktbedürfnisse am wichtigsten. Dies galt sowohl zu Beginn der Pandemie als auch in der Phase der Erholung. Unserer Meinung nach wird der europäische Logistikmarkt mittelfristig stark beeinträchtigt werden.“ Aus diesem Grund hat sich Waberer’s entschieden, sein Geschäftsmodell im Segment ‚Internationaler Transport‘ mit sofortiger Wirkung umzustellen. Die neue Strategie stellt die Vertragskund*innen und die wichtigsten europäischen Fahrtgebiete in den Mittelpunkt der Unternehmensaktivitäten.

Dudola erklärt: „Unser ‚Handelswege‘-Modell wird sich auf die wichtigsten Handelsströme innerhalb der Europäischen Union konzentrieren und das bestehende Taximodell (Anm. der Red.: vorheriges Modell der Auftragsdisposition) ablösen. Wir konzentrieren unser Geschäft auf Vertragskund*innen, um diesen eine stabilere und zuverlässigere Kapazität mit höherer Servicequalität zu bieten.“ Um Kunden mit bestehenden Verkehrsströmen außerhalb der Handelsrouten weiterhin bedienen zu können, investiert das Unternehmen zusätzlich in seinen Geschäftsbereich Spedition. Damit erweitert es seine geographische Abdeckung und das Angebot an Dienstleistungen. Dudola betont: „Unsere Strategie zielt darauf ab, das Segment ‚Internationaler Transport‘ von Waberer’s zu einem kundenorientierteren, flexibleren und finanziell stabileren Unternehmen zu entwickeln.“

Das Gute im Schlechten

Die DB Schenker DB Schenker steht für den globalen Güteraustausch schlechthin. Sie erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2019 einen Gesamtumsatz von rund 17,091 Mrd. Euro. Die Geschäftsstelle Schenker Deutschland AG (Schenker) ist mit einem Umsatz von etwa 4,1 Milliarden Euro im Jahr 2019 führender Anbieter für integrierte Logistik im deutschen Markt. Wie rüstet sich ein solches Unternehmen in Pandemie-Zeiten?

Erik Wirsing, Vice President Global Innovation bei Schenker macht bei der Frage nach den letzten Wochen einen aufgeräumten Eindruck: „Wir haben alle viel gelernt und gleichzeitig viel Improvisationstalent bewiesen – nicht zuletzt bei der erfolgreichen und wirklich schnellen Umstellung auf Heimarbeitsplätze und Nutzung von Cloudservices. So etwas wäre vor fünf Jahren wesentlich komplizierter gewesen.“

Für die Logistik kommt es Wirsing auf weitere Punkte an: „Wichtig ist die Redundanz des Netzwerks. Das heißt: Wenn es irgendwo eine Blockade gibt, zum Beispiel durch Corona-Schutzmaßnahmen, dann können wir einen Vorgang auch über Alternativrouten, etwa über andere Landkreise, Regionen oder Länder, abwickeln.“ Und ob sich die Verkehrsströme auf Tagesbasis anpassen lassen – je nach Umfang des Shutdowns. Für die PTV-Lösungen ist das natürlich kein Problem. Mehr denn je brauchen wir in der Logistik Flexibilität und Agilität. Und den Willen dazuzulernen. Bei uns hat schon in der ersten Welle der Pandemie das meiste richtig gut geklappt. Aber auf eine mögliche zweite Welle wären wir sogar sicher noch besser vorbereitet“, sagt Wirsing. „Natürlich muss auch bei Schenker ein Riesennetzwerk am Laufen erhalten werden. Und wir alle haben in der Krise unser Bewusstsein für die IT geschärft. Aber: Gerade in Krisenzeiten entstehen neue Geschäftsmodelle. Jetzt ist der Moment, Dinge zu hinterfragen, Dinge zu ändern, fast wie nach einem reinigenden Gewitter.“ Nicht nur bei Schenker sind viele Logistik-Kunden betroffen. Immer wichtiger wird deshalb die Beratung schon weit im Vorfeld der eigentlichen logistischen Dienstleistung.

Ist zweite Welle der richtige Begriff?

Grundsätzliche Auswirkungen werden uns noch lange begleiten. Aus dem Druck der Situation heraus stehen Kostenstrukturen und gewohnte Prozesse auf dem Prüfstand; als Wirtschaftsunternehmen muss man Geld verdienen. Wissen und Hygienekonzepte teilen. Das kennt keine Grenzen. Hier sitzt die ganze Welt in einem Boot.

Tobias Häßler, Vice President CEE bei der PTV Group, ist überzeugt: „Die Logistikbranche wird sich weltweit mit den Folgen der Coronakrise auseinandersetzen müssen – egal ob mit oder ohne zweite Pandemiewelle. Schon lange werden die Lkws auch als fahrende Lager eingesetzt. Fallen die Produktionsmengen, fallen auch die benötigten Transporte. Auf der anderen Seite ist die Transportbranche systemrelevant. Logistikunternehmen, die in Digitalisierung investieren und spätestens jetzt Kurs in Richtung moderner Transportplanung und strategischer Logistik nehmen, sind in jedem Fall besser aufgestellt.“

Werden Sie Wellenbrecher der Logistik

Auch für die Welt der Logistik gilt: Nur wer flexibel agiert und sich gut vorbereitet, kann sein Unternehmen auf Kurs halten – auch wenn eine zweite Welle der Pandemie naht.

2 thoughts on “Coronavirus: Logistik gewappnet für die zweite Welle?

    1. Das freut mich – die Autorin – und uns – das Redaktionsteam! Danke! Wir arbeiten tatsächlich immer wieder an spannenden Themen; es lohnt sich, öfter mal „vorbeizuschauen“. Demnächst zum Beispiel mehr zur Impfdosenverteilung.

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