Die Dynamik macht den Unterschied: Gerade im Pharma- und Medizinbedarfs-Großhandel sowie bei der Produktion von Healthcare-Produkten kennzeichnet das Transportaufkommen eine hohe Dynamik. Kurzfristige Bestellungen aus einem großen Angebotsspektrum, mehrfache Belieferungen und die flächendeckende zuverlässige Versorgung mit temperaturempfindlichen Gesundheitsprodukten, Arzneien oder Hygieneartikel sind die tägliche Herausforderung entlang der Lieferkette. Nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist das Gesundheitswesen eine der entscheidenden Branchen für das Funktionieren einer Wirtschaft – und das weltweit. Die Bedeutung der damit verbundenen Logistik ist entsprechend groß.

Aber wie ist es um die Healthcare-Logistik bestellt? Dr. Michael Nutto zeichnet die aktuelle und die zukünftige Situation im Interview nach. Er steht als Experte für die Analyse komplexer Aufgaben und deren Vereinfachung zu kundenorientierten Dienstleistungen für Logistik und Transport.

Dr. Michael Nutto, PTV Group
Dr. Michael Nuttos Motto für die Zukunft der Healthcare-Logistik: Optimieren der Transporte mittels geeigneter Transportmanagement-Systeme, Verlagern der Transporte auf verschiedene Verkehrsträger, Vermeiden von Emissionen durch alternative Fahrzeugantriebe und ihre Kompensation durch CO2-Zertifikate.

Wie sieht die aktuelle Situation aus, in der sich die Dienstleister der Healthcare-Logistik befinden?

Keine Frage: Die Healthcare-Branche steht seit Pandemiebeginn besonders im Fokus. Gerade Apotheken sind weiterhin stark frequentiert. Sie stellen weltweit ein wichtiges Bindeglied zu den Kunden dar. Auch der Versandhandel für Healthcare-Produkte wächst stark. Insofern sind auch die Transportdienstleister der Branche entsprechend gefordert. Sie stehen zunehmend unter Druck, den Lieferservice zeitlich einzuhalten bzw. die zugesagte Qualitätsleistung aufrechtzuerhalten, und unterliegen für Arzneimitteltransporte den Regeln der EU Good Distribution Practice.

Nach zwei Jahren Corona: Gibt es Gewinner, gibt es Verlierer unter den Transporteuren der Branche?

Es gibt beides. Natürlich zählen große Online-Anbieter wie Amazon zu den Gewinnern. Insgesamt ist ein Plus von 18 Prozent bei Online-Diensten zu verzeichnen, zum Beispiel für Konsumgüter, KEP-Dienste und Lieferdienste für Essen.

Genauso profitieren Drogerien und der Online-Einzelhandel im Pharmabereich sowie Apotheken von der Situation: Die Nachfrage nach Hygiene- und Schutzartikeln, Medizin, Schnelltests und Beratung steigt kontinuierlich. Und die Pandemie ist noch lange nicht vorbei, Virusmutationen werden uns noch sehr lange beschäftigen. Damit verbunden sind steigender Beratungsbedarf, neue Wellen mit weiteren Infizierten und nachfolgenden Impfrunden. Das Wachstum des Gesundheitsmarkts wird mit zirka acht Prozent prognostiziert. Entsprechend trägt die Healthcare-Logistik dazu bei, den steigenden Bedarf an pharmazeutischen und medizinischen Artikeln und Geräten zu befriedigen und dabei durchgängige Kühlketten sicherzustellen. Die Auftragsbücher sind also voll.

Es gibt auch Pandemie-Verlierer in der Transportbranche: die Autoindustrie, die Touristik und die Gastronomie. Im Grunde verzeichnen alle Industrien mit starker Abhängigkeit der globalen Lieferkette Einbrüche, zum Beispiel auch die Möbelindustrie, der Maschinenbau, die Stahlindustrie, der Eventbereich und die Luftfahrt. Der europäische Frachtverkehr ist im Jahr 2020 um zirka acht bis neun Prozent gesunken, während Preisindizes aktuell signifikant steigen. Oft werden Liefertermine extrem verlängert. Davon ist jede Branche betroffen – auch die Healthcare-Logistik.

Leidet auch die Healthcare-Logistik unter dem Fahrermangel?

Ich zitiere den BGL-Vorsitzenden Dirk Engelhardt: „Großbritannien in einfach nur der Blick in die Zukunft.“ Aktuell fehlen 80.000 Fahrer in Deutschland. 30.000 Fahrer gehen jedes Jahr in Rente. Die Nachwuchszahlen liegen bei durchschnittlich 15.000. Ganz klar: Auch die Healthcare-Logistik leidet unter dem Fahrermangel.

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Wie sehen zukünftige Szenarien aus?

Wir müssen umdenken: Die Logistikbranche, ob im Healthcare-Bereich oder in anderen Segmenten, braucht andere, neue Konzepte!

Kurzfristig gilt es natürlich, Anreize für die Fahrer*innen zu schaffen, wie beispielsweise eine unternehmenseigene Aus- und Weiterbildung, spezielles Fahrtraining und nicht zuletzt bessere Arbeitsbedingungen. Es existieren bereits gesetzliche Regelungen und Konzepte für neue Park- und Übernachtungsmöglichkeiten oder die regelmäßige Rückkehr nach Hause, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Auch eine modern ausgerüstete Flotte kann ausschlaggebend sein. Umfragen belegen jedoch, dass sich zuerst die Entlohnung verbessern muss, die in Deutschland mit durchschnittlich 14,21 Euro pro Stunde nur knapp über dem Mindestlohn von zwölf Euro liegt. Auch der schlechte Ruf der Branche hält neue Fahrer*innen ab. Und selbst die Kompensation durch ausländische Kräfte stellt die Unternehmen vor neue Herausforderungen, was Integration, Sprache, Kultur oder Sicherheitsregeln betrifft.

Mittelfristig wird uns der Weg zu intermodalen Lösungen führen. Das bedeutet, die Transporte auf die Schiene bzw. auf Binnengewässer zu verlagern. Parallel dazu muss man das Straßennetz erneuern und ausbauen, wo Schiene und Wasserwege es nicht ersetzen können. Nur so lassen sich in Zukunft Staus vermeiden und Transportketten durchgängig führen. Eine unbeliebte aber für den Wirtschaftsstandort Deutschland notwendige Maßnahme. Langfristig werden wir uns im Transportwesen zunehmend mit autonom fahrenden Lkws auseinandersetzen, die möglicherweise schon ab 2030 auf den Autobahnen zu finden sind.

Spielen neue Antriebe oder gemischte Flotten eine Rolle?

Der Green Deal der EU-Kommission zwingt – jedoch durchaus positiv gemeint – die Unternehmen, alternative, also CO2-freie Antriebe einzusetzen. Eine aktuelle Lösung, die bereits heute stark gefördert wird, kann der Einsatz von Elektrofahrzeugen sein. Jedoch muss man die tatsächliche Reichweite, die je nach Herstellerangabe bis zu maximal vierhundert Kilometer betragen soll, bei der Tourenplanung berücksichtigen.

Daneben ist Wasserstoff als Antrieb auf dem Vormarsch und sollte ab 2024 flächendeckend zur Verfügung stehen. Auch hier ist die Reichweite von derzeit maximal vierhundert Kilometern der begrenzende Faktor. Daher stellt eine gemischte Flotte die sinnvollste Lösung dar: sowohl der Einsatz von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben als auch mit Verbrennungsmotoren. Ab 2030 sollten diese aber nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Sonst können wir die europaweit gesetzten Ziele nicht erreichen. Gerade für Länder mit wichtigen Transitstrecken, wie in Österreich oder der Schweiz, ist das von großer Bedeutung.

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Was lässt sich zeitnah realisieren?

Hier gilt für die Dienstleister der Healthcare-Logistik wie für andere Industrien: Tourenoptimierung! Mit digitalen und automatisierten Prozessen können die Unternehmen kosteneffizient und CO2-arm planen. Die Lösungen dafür liegen schon vor.

Wer heute als Transportunternehmer grundsätzlich CO2-neutral agieren möchte, muss folgendes in seinem Geschäftsplan beherzigen: Optimieren, Vermeiden, Verlagern und Kompensieren!

Im Healthcare-Sektor stehen die Lieferanten von Apotheken im Spannungsfeld: Einerseits führen sie statisch und mehrmals am Tag geplante Einsätze durch. Andererseits müssen sie kurzfristige und dementsprechend zeitkritische Bestellungen ausliefern, die gleichzeitig mit höchstem Qualitätsanspruch auszuführen sind. Auch hier heißt das Zauberwort Digitalisierung. Anhand geeigneter Software-Lösungen lassen sich die statischen und dynamischen Vorgänge verknüpfen, um schnell auf kritische Versorgungsanfragen reagieren zu können.

Gerade in Zeiten der Corona-Wellen rückt die Versorgung mit Impfstoffen in den Fokus. Kühne und Nagel unterstützt nach eigenen Angaben zum Beispiel die Verteilung des Moderna-Impfstoffes über ein Verteilungsnetzwerk mit 230 Standorten weltweit und mit einer Flotte von 200 klimatisierten Anhängern – und das bei einer Transporttemperatur von -20 Grad Celsius. Das Unternehmen ist ein großer Dienstleister, der diese Anforderungen über eine eigene Transport-Sparte für den Healthcare-Bereich abdeckt. Aber auch mittelständische Betriebe können lokale Anforderungen und Besonderheiten mit geeigneter Software optimal und individuell berücksichtigen und somit einen wichtigen Beitrag zur Gesamtversorgung leisten.

Was ist dein Resümee für die Zukunft der Healthcare-Logistik?

Produkte aus dem Healthcare-Bereich werden immer wichtig sein. Eine alternde Gesellschaft, der Umgang mit Krankheiten und Pandemien verlangen nach einem breiten Fächer an Hygieneartikeln und Medizin, deren Transport oft besonderen Bedingungen unterliegt. Die Healthcare-Logistik stellt einen wichtigen Bestandteil der Gesamtlogistik mit guten Wachstumsprognosen dar.

Die Qualitätsanforderungen nach schnellen und zuverlässigen Transporten werden wachsen, was zum Bedarf an extrem leistungsfähigen Dienstleistern führt, die auf eine sich ständig ändernde Infrastruktur treffen. Gleichzeitig werden sich immer mehr Betroffene für Versandapotheken entscheiden. Parallel dazu erwarte ich eine Rückverlagerung von Produktionsstätten nach Europa.

Sicherheit und Schnelligkeit dürfen sich bei der Healthcare-Logistik nicht ausschließen. Und trotzdem müssen Unternehmen die Kosten im Blick haben und effizient wirtschaften.

Daher gilt weiterhin die höchste Priorität der Digitalisierung und der Vereinheitlichung von Prozessen über die gesamte Lieferkette hinweg. Und das immer unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Zusätzlich hilft der Einsatz künstlicher Intelligenz, die Qualität und Leistungsfähigkeit zu verbessern.

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